Aneignungen
"Der erste, der ein Stück Land eingezäunt hatte und es sich einfallen ließ zu sagen: dies ist mein, und der Leute fand, die einfältig genug waren, ihm zu glauben, war der wahre Gründer der bürgerlichen Gesellschaft", schreibt Jean-Jacques Rousseau *. Mit der Behauptung "dies ist mein" wird der Claim abgesteckt und anschließend mit Hilfe des Gesetzes verteidigt.
Im Zuge der Industrialisierung gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden die Abbildungen des rauchenden Schornsteins zum stolzen Symbol der Fabrikbesitzer. Noch in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts schmückte er die Briefköpfe der Firmen. Mit Hilfe der Haupttreuhandstelle Ost und durch Beschlagnahmeverfügung konnten dann Anfang der vierziger Jahre per Kaufvertrag neue, in Abwicklung befindliche Firmen erworben werden.
Im Leipziger Staatsarchiv sind unter "9.4. Chemische Industrie" die Aktenblätter solch beispiellosen Aneignens erhalten. In der Industriestraße 81-83 in Leipzig-Plagwitz – einem Zentrum der deutschen Kriegsproduktion – können die Spuren dieser Geschichte noch gefunden werden.
"Wir haben doch vereinbart, dass die Streitfrage nach dem Krieg ausgetragen wird. ... also warten wir doch in Ruhe den Krieg ab. Ich denke, wir haben jetzt andere Sorgen. Mit deutschem Gruß, Rauch" **
Ute Richter
* Jean-Jacques Rousseau: Discours sur l'origine et les fondements de l'inégalité parmi les hommes, 1755. ; dt.: Diskurs über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen, Paderborn 2008, S. 173.
** Auszug aus einem Briefwechsel über Patentstreitigkeiten einer Leipziger Gummiwarenfabrik vom 28. Oktober 1944.