Aneignungen

2009
Wandmalerei
Kunstverein Leipzig, Ausstellung "Amnesie"
Acrylfarbe auf Wand 2,70 x 1,90 m
Foto Katia Klose

x1 / 2 / text / presse
ute richter - aneignungen

Aneignungen

2009
Wandmalerei
Kunstverein Leipzig, Ausstellung "Amnesie"
Acrylfarbe auf Wand 2,70 x 1,90 m
Foto Katia Klose

x1 / 2 / text / presse
ute richter - aneignungen

Aneignungen

2009
Wandmalerei
Kunstverein Leipzig, Ausstellung "Amnesie"
Acrylfarbe auf Wand 2,70 x 1,90 m
Foto Katia Klose

x1 / 2 / text / presse

Aneignungen

 

"Der erste, der ein Stück Land eingezäunt hatte und es sich einfallen ließ zu sagen: dies ist mein, und der Leute fand, die einfältig genug waren, ihm zu glauben, war der wahre Gründer der bürgerlichen Gesellschaft", schreibt Jean-Jacques Rousseau *. Mit der Behauptung "dies ist mein" wird der Claim abgesteckt und anschließend mit Hilfe des Gesetzes verteidigt.

 

Im Zuge der Industrialisierung gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden die Abbildungen des rauchenden Schornsteins zum stolzen Symbol der Fabrikbesitzer. Noch in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts schmückte er die Briefköpfe der Firmen. Mit Hilfe der Haupttreuhandstelle Ost und durch Beschlagnahmeverfügung konnten dann Anfang der vierziger Jahre per Kaufvertrag neue, in Abwicklung befindliche Firmen erworben werden.

 

Im Leipziger Staatsarchiv sind unter "9.4. Chemische Industrie" die Aktenblätter solch beispiellosen Aneignens erhalten. In der Industriestraße 81-83 in Leipzig-Plagwitz – einem Zentrum der deutschen Kriegsproduktion – können die Spuren dieser Geschichte noch gefunden werden.

"Wir haben doch vereinbart, dass die Streitfrage nach dem Krieg ausgetragen wird. ... also warten wir doch in Ruhe den Krieg ab. Ich denke, wir haben jetzt andere Sorgen. Mit deutschem Gruß, Rauch" **

 

Ute Richter

 

 

* Jean-Jacques Rousseau: Discours sur l'origine et les fondements de l'inégalité parmi les hommes, 1755. ; dt.: Diskurs über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen, Paderborn 2008, S. 173.

** Auszug aus einem Briefwechsel über Patentstreitigkeiten einer Leipziger Gummiwarenfabrik vom 28. Oktober 1944.

Aneignungen

2009
Wandmalerei
Kunstverein Leipzig, Ausstellung "Amnesie"
Acrylfarbe auf Wand 2,70 x 1,90 m
Foto Katia Klose

x1 / 2 / text / presse
LVZ vom 19.11. 2009
Der Kunstverein vergisst nicht
Erinnern ist so eine Sache. Unter dem Titel "Amnesie" haut eine Doppelaustellung im Kunstverein Leipzig auf den Putz. Zum zweiten Auftritt kombiniert Kuratorin Britt Schlehahn jetzt Arbeiten von Peter Bux, Till Gathmann, Francis Hunger, Silke Koch und Ute Richter.
Von Meinhard Michael

Die Künstler sind aus den Jahrgängen 1964 - 1977. Die blinden Flecken, die sie benennen, reichen weiter als 20 Jahre zurück. ...

In den gleichen 30er Jahren beginnt die spezielle Geschichte eines Leipziger Industriebetriebes, über den Ute Richter recherchiert hat. En gros und en detail geht es um Fälle "beispiellosen Aneignens" in der Nazizeit. Das Bild dafür ist eine große, helle Wandmalerei, eine alle Schrift vermeidende Karteikarte. Nur noch das Briefkopf-Signet vom "Objekt der Begierde" ist erhalten, nun sperrig versetzt auf die Mitte der Karte. Sie vermittelt durchaus das Gefühl der prinzipiellen Differenz zwischen heute noch lesbaren Akten und den damit nicht vorstellbaren Tatsächlichkeiten, zwischen Geschehen und Geschichte.
Was gut daran ist, ist aber auch gefährlich: denn die Leerstelle, die Abwesenheit, eine Lücke, die die Wandmalerei treffend vermittelt, ist sie selbst. Vielleicht ist diese Formidee besser als tatsächliche Wandmalerei an einem konkreten Ort. Dort, wo die Erinnerung an die "Aneignung" verschwunden ist. Dort würde sich die formpräzise Leere der Wandmalerei-Karteikarte füllen können in der Zeit – verglichen mit der kurzen Existenz als Werk einer Galerieausstellung.
...