Warum die Treuhand nicht kommen darf oder wie sich Geschichte im öffentlichen Raum einschreibt
Von Leoni Peters
Einhundert Jahre nach seiner Gründung schreitet die stadtplanerische Entwicklung des alten Messegeländes in Leipzig wieder voran. Seit den 90er Jahren wartete es auf Investoren und bessere Zeiten. Mit den aktuellen Ansiedlungen der Möbeldiscounter und dem Neubau der Bio City wird die brachliegende Messehalle 12 zum optischen Ärgernis für die neuen Nutzer. Deshalb besteht der Wunsch, die schäbig gewordene Fassade des früheren sowjetischen Pavillons mit Hilfe eines Kunstwerkes aufzuwerten. Nach zwei bereits gescheiterten Entwürfen anderer Kollegen schlägt nun 2013 die Künstlerin Ute Richter eine Wandbeschriftung vor. Die Ankündigung "Am Montag kommt die Treuhand" soll den Zerfall des Gebäudes und die Suche nach neuen Eigentümern thematisieren. Denn viele erinnern sich hier noch: an die aufregenden Tage und Wochen im Herbst 1989 und an das Frühjahr, das dann kam. Die im März 1990 gegründete Treuhand beendete scheinbar bereits nach vier Jahren wieder ihre Arbeit - erfolgreich. Aber die Zeitungsmeldung von damals "Am Montag kommt die Treuhand" ruft unterschiedliche Erinnerungen an die Versprechen auf schnelle Sanierung oder eben auf Abriss der Gebäude hervor. Nun, mehr als 20 Jahre später, könnte dieses Thema als temporäres Kunstwerk wieder in der Öffentlichkeit auftauchen und eine aktive Erinnerungskultur initiieren, obwohl die Akten noch bis zum Jahr 2050 unter Verschluss liegen.
Doch für diese Art der Treuhanderinnerung wurde ein "Versagensbescheid" verfasst und amtlich abgestempelt. Wäre es nach dem städtischen Denkmalschützer gegangen, hätte die Künstlerin Ute Richter mit dem Wort "Max Schmeling" auf der Fassade des sowjetischen Pavillons öffentlich erinnern dürfen. In den Gesprächen mit dem zuständigen Beamten wurden keine generellen Bedenken gegen eine Fassadenbeschriftung mit flächendeckenden Buchstaben formuliert, im Gegenteil, es wurden persönliche Wünsche geäußert: Das Wort Treuhand erschien unpassend, aber der Boxer Max Schmeling wurde aus denkmalschützerischer Sicht begrüßt, da er sich dort, offensichtlich mit seiner gefürchteten Rechten, am 6. November 1927 zum deutschen Box-Superstar schlug.
Sich gegenseitig in der Öffentlichkeit die Visage einzuschlagen gilt als fair play, als demokratietauglich und geschichtserinnernd. Bei der schwierigen Suche nach Investoren für das Gelände mit der verfallenden Bausubstanz ist eben jede Hilfe recht. Aber im Zusammenhang mit dem Gebäudeverfall öffentlich an die Arbeit der Treuhand zu erinnern, die auf dem Gelände angesiedelt war: "NEIN", das entspricht nicht den Kriterien des städtischen Repräsentanten. Das sieht er ganz sportlich und somit bleiben das Thema, ebenso wie die Akten dazu, weiterhin unter Verschluss. Damit erweist er der Stadt einen guten Dienst, denn ihr bleiben jetzt immerhin die Reaktionen der Leipziger auf ein weiteres ungeliebtes Kunstwerk erspart. Zeitgleich ringt man im Kulturamt immer noch um das Kunstwerk für den Leuschner-Platz mit offiziellem Erinnerungsauftrag, an den Herbst 89. Werden auch diese, im Lokalblatt LVZ heiß umstrittenen Kunstwerke letztendlich den Leipzigern erspart bleiben? Warum eigentlich? Weil mutige Positionen für zeitgenössische Kunst im Stadtraum in der Leipziger Stadtverwaltung fehlen?
Im Umgang mit Investoren läuft es anders. Bei der Ansiedlung des Möbelhauses Porta auf dem Gelände der Alten Messe konnte der Totalabriss der denkmalgeschützen Messehallen gerichtlich durchgesetzt werden. Es blieb nur das wuchtige, weit vorspringende Portal stehen, das als Symbol architektonischer Machtdemonstration des Nationalsozialismus 1940 nachträglich verkleidet wurde. Und genau damit empfängt Porta! seit einigen Wochen wieder seine Kunden. Ja, mit einem Ausrufezeichen. Wer, in welcher Weise, aber vor allem woran, also an welches Ereignis erinnern darf, auch das bestimmen Stadt und Denkmalschutz.
Natürlich bleibt die Frage, ob Kunst überhaupt dazu taugt, verfallende Gebäude für Investoren optisch aufzuwerten. Domestizierte Graffitis prägen mittlerweile das Stadtbild, um als Auftragsarbeit in dezent farbenfrohen Ornamenten die Flächen der Eigentümer vor unliebsamer Beschriftung zu schützen. Geht da der Missbrauch von Mittel und Gebäude Hand in Hand?
Also wer darf denn nun kommen? Coca Cola, Max Schmeling, Graffiti oder die Treuhand, was wünschen sich die Leipziger? Scheinpartizipative Prozesse haben mittlerweile in Kunst und Stadtplanung Konjunktur und brachten den Leipziger Wettbewerb zum "Einheitsdenkmal" durch die Bürgerbeteiligungsumfrage zu dessen Preisträgern ins Wanken. Doch die Entscheidungen dazu werden immer noch ganz anders getroffen, und die künstlerische Energie versickert im Boden städtischer Bürokratie- und Parteimühlen. Auch dort ist Konsens der kleinste gemeinsame Nenner. Ach, dann doch lieber die Kunst als Wertanlage kaufen und Geldinstitute oder die eigenen Räume damit schmücken. Künstler, seid doch endlich mal ruhig und macht einfach nur eure Arbeit. Wir geben euch den Rest.
Leoni Peters, Kunstwissenschaftlerin und Kulturkritikerin, geb. 1989, studierte in Leipzig, Genua und Rostock