Das Kapital ist soviel Wert, wie es Elend produzieren kann.*
Rekrutierung. Rattenfänger. Körper und Instrument. Das Lied der Arbeit: „Die Arbeit, sie bewegt die Welt! Die Arbeit hoch! Die Arbeit hoch!“ wird zum Morsecode. Die Botschaft erklingt verschlüsselt, asynchron zu frühen Filmaufnahmen vom Massenturnen auf dem Wiener Rathausplatz. Die Abläufe der Spielleute werden zum choreografierten Tanz. „Die Trommel ruft“ – der mitreißenden Gewalt der Märsche kann sich niemand entziehen. Ein geselliges Beisammensein, inklusive aller Folgen.
In FRAGMENT ist schon das Akkordeonspiel eine Performance für sich. Die unterschiedlichen Titel sind dramaturgisch aufgebaut und entwickeln im Wechsel mit der Live-Elektronik und den Videoprojektionen eine inhaltlichen Spannung, die zwischen Performance, Klang, Bild und Wort im Raum entsteht. Die einzelnen Elemente des Abends lösen im Gesamtablauf ganz unterschiedliche Assoziationen beim Hörer aus und öffnen Erinnerungsräume (bis in die Zukunft hinein).
Das Lied der Arbeit wird auf dem Akkordeon gemorst, asynchron zu frühen Filmaufnahmen vom Massenturnen. In diesen Bildern löst sich der Mensch auf, in der Masse wird er Teilchen. Die Abläufe der Spielleute im Video werden auf der Leinwand zum choreografierten Tanz im Saal. Unterschiedliche Rhythmen gaukeln Beschleunigung vor. Aber alles ist Echtzeit (wie im wirklichen Leben).
Mit dem performativen Live-Auftritt des Spielmannszuges, bricht mitten im Stück, plötzlich die Gegenwart herein. „Die Trommel ruft“ – der mitreißenden Gewalt seiner Märsche kann sich niemand entziehen.
Nur die „Nachtarbeit“ bringt Entspannung in der Ruhe und Konzentration. Und mit „Freizeit. Nichts zu Tun. Nichts.“ öffnet sich der Moment klanglich zur Muße.
Am Ende des Abends verschweißt der Klang die Akkordeonistin körperlich dermaßen mit ihrem Instrument, dass sie durch die Intensität ihres Spiels scheinbar selbst zum Zombie ihrer Arbeit wird. Das Stück FRAGMENT ist der Beweis dafür, dass zeitgenössische Musik inhaltlich und unterhaltend sein kann.
Ute Richter
Von D. werden Sie / nichts mehr hören, / es geht ihm gut.
Heimgekehrt / in den Schoß der Familie, / um sein Erbe anzutreten.
Videotext, aus Heiner Müller, Der Auftrag, 1979
*Georg Seeßlen, Seeßlen-Blog, 2014